Fachverband Seenot-Rettungsmittel zu Bedingungen und Hintergründen von Test-Reihen
Alle Hersteller von Rettungswesten haben ein Ziel: das Leben von Menschen zu retten. Weil dieses Ziel aber auf unterschiedlichen Wegen, konkret: mit verschiedenen Techniken und Produkten, angestrebt wird, sind Tests die Konsequenz, um die Leistungsfähigkeit und Qualitäten zu vergleichen. Neben Herstellern, Händlern und Prüfinstituten nehmen sich immer wieder Medien dieser kniffligen Sache an.
Denn vergleichsweise einfach lassen sich nur objektive Faktoren bewerten, beispielsweise das Handling – lässt sich eine Rettungsweste einfach anlegen? Welche Einstellungen sind erforderlich? Oder der Tragekomfort: Wo drückt oder schneidet eine Rettungsweste? Wie beweglich bleibt ihr Träger? Oder die Technik: Löst eine Rettungsweste aus, wenn sie Wasserkontakt bekommt? Oder die Qualität der Materialien: Wie robust ist ein Schwimmkörper? Wiederholbare Prüfreihen in Klimaschränken oder bei Belastungs- und Scheuertests bringen hier messbare Ergebnisse.
Allein: Eine der wesentlichsten Eigenschaften, die eine Rettungsweste aufweisen können muss, lässt sich nur äußerst schwer nachprüfen. In der entsprechenden Norm EN ISO 12402-9 ist von der Funktion die Rede, „den Benutzer mit dem Gesicht über das Wasser zu bringen, sollte dieser mit dem Gesicht nach unten und bewusstlos ins Wasser fallen oder bewusstlos werden“. Landläufig wird dabei von „Ohnmachtssicherheit“ gesprochen. Der Grund: Bei den meisten Tests macht der Faktor Mensch einen dicken Strich durchs Ergebnis und die Prüfungen sind wenig bis gar nicht aussagekräftig.
Warum Faktor Mensch?
Des Rätsels Lösung liegt in der Natur des Menschen. Ein Mensch bei Bewusstsein kann Bewusstlosigkeit nicht simulieren. Mag sich ein Proband willentlich auch noch so viel Mühe geben, entspannt, schlaff und bewegungslos zu sein – er wird es nicht schaffen, weil auf Grund des menschlichen Lebensraumes Land und des Umstands, dass sich der Mensch evolutionär auf Gravitation eingestellt hat unwillkürliche Bewegungen zwingend sind. Sie erfolgen nahezu reflexhaft.
Ein Beispiel zum Selbstausprobieren: Legt man sich in eine Badewanne und versucht die Arme locker zu lassen, bewegen sie sich nach einer Zeit automatisch an die Wasseroberfläche – selbst wenn die Person meint, gar keine Kraft dafür aufzuwenden. Eine rein physikalische Erklärung gibt es für diese Tatsache nicht, denn schließlich haben menschliche Arme eine höhere Dichte als das Wasser und müssten eigentlich absinken.
Was hier unbewusst passiert, spielt auch bei Rettungswestentests eine Rolle. Niemals wird eine Person bei Bewusstsein bei unterschiedlichen Tests auf die identische Weise ins Wasser fallen. Allein schon das Vorn-Über-Kippen erfordert ein gewaltiges Maß an Disziplin und willentlicher Anstrengung, weil der Testperson bewusst ist, dass die Gefahr besteht, womöglich mit dem Gesicht schmerzhaft auf die Wasseroberfläche zu klatschen. Tests dieser Art sind nicht reproduzierbar, da Testpersonen zwangsweise kleine Haltungsabweichungen aufweisen, die bereits große Auswirkungen auf das Drehverhalten einer Rettungsweste nach sich ziehen können. Die Abweichungen des Verhaltens der Testperson werden umso größer, je häufiger diese Tests nacheinander durchgeführt werden. Dieser menschliche Faktor kann das Drehverhalten einer Rettungsweste beeinträchtigen. Besonders krass tritt das bei solchen Test zu Tage, bei denen die Prüfpersonen sich mit ausgebreiteten Armen vornüber ins Wasser stürzen. Dann ist die Möglichkeit gegeben, dass die Rettungsweste die Prüfperson nicht in die Rückenlage dreht, weil die Hebelkräfte zu klein sind – aber welcher Bewusstlose breitet schon seine Arme aus?
Die offiziellen Stellen haben diese Eigenschaft bei der Aufstellung der Norm berücksichtigt: „Da eine nicht entspannte Prüfperson weder repräsentativ ist noch einen Zustand äußerster Erschöpfung simulieren kann, muss als Beginn der Selbstaufrichtungsprüfung erst der Zeitpunkt vermerkt werden, an dem bei der Prüfperson ein entspannter Zustand erreicht ist.“ Und das ist eben nicht beim Hereinfallen, sondern besser erst nach einigen Schwimmzügen – wobei auch das nur eine Näherung an den Zustand der Bewusstlosigkeit darstellt.
Die Überlegung, Prüfpersonen zu sedieren, um so tatsächliche Bewusstlosigkeit herbeizuführen, wurde aus ethischen Gründen verworfen. Als Alternative wurden jedoch beispielsweise Puppen eingesetzt, die aber eben auch trotz aller Bemühungen die Eigenschaften des menschlichen Körpers nicht exakt nachbilden können.
Faktor Bekleidung
Eine weitere nicht reproduzierbare Beeinflussung von Rettungswestentest erfolgt durch die Bekleidung der Probanden. Tragen sie schweres Seezeug und Gummistiefel, sind vielleicht die Ärmel mit Gummi-Manschetten oder –Bündchen abgeschlossen, ist direkt am Körper Luft eingeschlossen, die Auftriebskraft bewirkt – und das an falschen Stellen. Diese Kräfte können durch die Auftriebskraft, die der Schwimmkörper einer Rettungsweste entwickelt, nicht immer überwunden werden. Seezeug unterschiedlicher Hersteller weist wiederum unterschiedliche Eigenschaften auf, was die Tests weiter verfälscht.
Deshalb haben wiederholte Versuche mit der gleichen Testperson, der gleichen Bekleidung und vor allem mit dem gleichen Rettungswesten-Modell zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt: Mal drehte die Rettungsweste die Person, mal nicht.
Das ist der Grund, weshalb offizielle Rettungswesten-Prüfungen nach Norm in Badebekleidung ausgeführt werden, weil so die Beeinflussung am geringsten ausfällt.
Mögliche Einwände, dass diese Art Prüfung wirklichkeitsfern seien, weil man im Sturm nicht in Badehose im Cockpit sitzt, können zugegebenermaßen nicht komplett entkräftet werden. Die Prüfungen sind lediglich eine Näherung, die nicht zu Schwarz-Weiß- beziehungsweise Ja-Nein-Ergebnissen führen, aber zumindest Trends belegen können.
Beispiel: Westen mit großvolumigen Schwimmkörpern weisen eine bessere Dreheigenschaft auf, als Westen mit kleinvolumigen Körpern. Denkt man jetzt weiter und fordert derart große Schwimmkörper, dass jede Person mit gleich welcher Bekleidung gedreht wird, in welcher Lage sie auch immer ins Wasser stürzen mag, so ist auch diese Forderung ebenso wirklichkeitsfern. Natürlich könnten entsprechende Rettungswesten konstruiert werden – nur wären sie dann so schwer und klobig, dass wohl kaum jemand sie anlegen würde.
Es bleibt also festzustellen, dass es eine absolute Sicherheit selbst mit Rettungswesten nicht gibt – egal, welches Fabrikat eingesetzt wird. Rettungswesten sind generell ein Kompromiss zwischen Leistungsfähigkeit und Praktikabilität.
Es ist aber ebenso festzustellen, dass die Chancen, einen Seenotfall beziehungsweise einen Sturz ins Wasser zu überleben, mit Rettungswesten ungleich höher sind als ohne.